Kritik: Steven Erikson – Malazan Book of the Fallen

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Malazan Book of the Fallen von Steven Erikson zählt zu den großen Sagen der Fantasy-Literatur. Die Bücher sind so viel mehr als die Geschichte einer Kriegskampagne. Es geht um das Leben, den Tod und wie viel man opfern kann, damit die Menschen trotz ihrer Fehler überleben. Trotzdem spalten sie die Leserschaft in frenetische Fans und Menschen, die nach dem ersten halben Buch aufgegeben haben.

Es gibt viele Fantasybücher, die ihre Leser mit einem warmen Gefühl zurücklassen. Das Gute hat am Ende gesiegt. Der Weg dahin mag lang und entbehrungsreich gewesen sein, aber der Triumph ist größer als die Strapazen. Der Unterschied zwischen diesen Büchern und Malazan Book of the Fallen könnte größer nicht sein. Malazan lässt seine Leser mit einem Gefühl zwischen Trostlosigkeit und Ekel zurück zwischen dem ein ferner Funken Hoffnung schwebt, klein und fern wie ein einsamer Stern. Denn über die ganzen zehn Bücher hinweg kämpfen Menschen, Götter und Dämonen gegen und für die Menschheit. Erikson zieht seine Leser hinab in die tiefsten Abgründe der Menschheit und stellt ihnen wenige Momente der Menschlichkeit, Freundschaft, Aufopferung und Liebe entgegen. Es ist eine Geschichte, die den Leser mit einem hohlen Gefühl zurücklässt. Aber es ist auch eine grandiose Geschichte.

Victory is an illusion. In all things.
– Steven Erikson, Memories of Ice

Eriksons Welt umspannt nicht nur Kontinente, sondern Jahrtausende und Dimensionen. Sie ist komplex und vielschichtig. Das Worldbuilding ist phänomenal und einzigartig. Die schiere Fülle an Rassen und Völkern – alle natürlich mit eigener Kultur und Historie – sprengt alles, was ich bisher gelesen habe. Vielleicht vergleichbar mit Tolkiens kompletter Welt, aber alles in einer durchgehenden Geschichte verpackt. Auch wenn Worldbuilding bei Erikson nicht das richtige Wort ist. Ja, seine Welt und ihre Geschichte ist imens. Aber er erklärt nichts, gar nichts. Meistens stolpert der Leser genauso unwissend durch die Gegend wie die Charaktere. Holprige „Ich erkläre dir die Welt obwohl du in ihr lebst“-Dialoge gibt es nicht. Und wenn Charaktere mal etwas mehr Bescheid wissen, erklären sie sich und ihre Beweggründe auch eher selten. Das macht es spannend, weil unvorhersehbar, aber auch anstrengend. Auch nach zehn Büchern bin ich mir nicht sicher, ob das ich Magiesystem der Warrens richtig verstanden habe.

Words held secret maps, the measuring of paces, the patterns of mortal minds, of histories, of cities, of continents and warrens.
― Steven Erikson, Deadhouse Gates

Das Tempo der Geschichte reicht dabei von eher gemächlich bis rasant. Erikson beginnt die meisten Malazan-Bücher eher gemütlich, um am Ende das Tempo und den Spannungsbogen steil ansteigen zu lassen. Das kann durchaus etwas zäh werden. Vor allem wenn sich halbe Bücher mit Charakteren beschäftigen, die einem weniger am Herzen liegen.

Eriksons Charaktere sind so unterschiedlich wie seine Welt. Im Zentrum steht die Soldatentruppe der Bridgeburner. Hier trifft man auf echte Freunde und fest verschweißte Kameradschaft. Den beiden Veteranen Stormy und Gesler dabei zuzusehen, wie sie streiten wie ein altes Ehepaar, ist witzig und herzerwärmend. Wenn der Magier Quick Ben und sein Assassinenfreund Kalam auf Magierjagd gehen, stockt der Atem und für einen dummen Spruch ist trotzdem immer Zeit. Und das sind nur vier von unzähligen spannenden Personen. Aus diesen Büchern nimmt man auf jeden Fall ein paar neue Lieblingscharaktere mit.

First in, last out. Motto of the bridgeburners.
– Steven Erikson, Memories of Ice

Aber höchst wahrscheinlich ein paar tote Lieblingscharaktere. Wer schon Martins Ein Lied von Eis und Feuer für eine zu brutale Abbildung eines Dynastienkrieges hält, sollte Malazan erst gar nicht beginnen. Hier sterben Hauptcharaktere wie die Fliegen und auch ansonsten sind die Schlachten mehr als blutig. Und wenn ich blutig schreibe, meine ich wirklich widerwärtig. Bei einigen Beschreibungen von Gewalt, Folter und Vergewaltigung muss man inne halten und tief Luft holen. Dabei driftet Erikson aber niemals in den plakativen Voyeurismus ab. Er zeigt dem Leser eher zu welchen Untaten Menschen fähig sind und hält ihnen so den Spiegel vor. Und die ganze Zeit baumelt die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt dem Leser wie eine Karotte an der Angel vor der Nase. Wo Pratchett mit Ironie und Augenzwinkern den Humanismus verteidigt, packt Erikson den Vorschlaghammer aus. Und trotz mancher wirklich ellenlanger philosophischer Diskussionen in den Büchern, wird er dabei niemals belehrend, sondern zeigt in Perfektion eine der wichtigsten Regeln guter Geschichtenerzähler: Show, don’t tell.

Land, domination, pre-emptive attacks – all just excuses, mundane justifications that do nothing but disguise the simple distinction. They are not us. We are not them.
– Steven Erikson, Deadhouse Gates

Wie auch beim Worldbuilding erklärt er nicht viel. Der Leser muss sich viele Zusammenhänge und Erklärungen selbst zusammenbasteln. Nicht aufgepasst? Pech gehabt. Das macht die Geschichte auf der einen Seite runder, auf der anderen Seite aber auch komplex und somit zu einem weniger einfachen Lesestoff. Deswegen sollte man die Bücher auch unbedingt am Stück lesen oder schon vorher nach guten, spoilerfreien Zusammenfassungen im Internet suchen.

Fazit: Ich kann vollkommen verstehen, wenn viele Fantasyliebhaber Malazan nach dem ersten Büchern links liegen lassen. Es ist wirklich anstrengend. Aber die Mühe lohnt sich. Wer komplexe, vielschichtige Geschichten mit ausgereiften und spannenden Charakteren mag, muss sich einmal durch Malazan hindurchbeissen. Die Metaebene rund um Fragen der Moral, des Menschsein und der Gerechtigkeit, machen die Bücher zu viel mehr als einer bloßen spannenden Nacherzählung einer Kriegsexpedition. Wer wie ich die Bücher im englischen Original lesen möchte, sei zusätzlich gewarnt. Erikson ist mit weitem Abstand das Anspruchsvollste, was Vokabular und verschlungenen Diskussionen anbelangt, das ich bisher gelesen habe. Seine Sprünge durch Zeiten, Dimensionen und Charaktere machen es auch nicht einfacher.

PS: Ja, ich habe wirklich 14 Monate für die zehn Malazan-Bücher gebraucht.

Autor: Steven Erikson
Titel: The Complete Malazan Book of the Fallen
Verlag: Tor Books
Ausgabe: Englische Ausgabe, 2014
ASIN: B00HL0MA3W